Predigt beim Requiem für Dr. Ludwig Adamovich
Montag, 1. Juli 2024 – Schottenkirche Wien
(Jes 58,6-12; Mt 5,1-12a)
Ludwig Adamovich wurde 1932 in Innsbruck geboren, am Fuße der Nordkette, bei den Barmherzigen Schwestern an der Kettenbrücke. Wenn Sie in Innsbruck auf die Nordkette hinauf wandern oder mit der Seilbahn hinauffahren, dann öffnet sich Ihr Blick in die Weite.
Dr. Adamovich war ein Mensch mit weitem Blick. Mit weitem Blick möchte ich mit Ihnen nachdenken über die Auferstehung, über das Mensch-Sein für andere und über Ideale in ihrer institutionellen Verankerung. Drei Worte des Trostes, drei Punkte, wie Sie es von einem Jesuiten erwarten dürfen.
I.
Bei Søren Kierkegaard heißt es sinngemäß: Das Leben wird nach vorne gelebt,
aber nach rückwärts verstanden. Wo aber ist „vorne“, wenn es zum Sterben geht?
Das große Hoffnungswort dazu durch die Jahrhunderte heißt in der christlichen Tradition „Auferstehung“. Ich habe es auch nach meinem Theologie-Studium noch nicht ganz verstanden. Aber dann konnte ich es in Schweige-Exerzitien neu ausbuchstabieren. Ich übersetze „Auferstehung“ mit „neu anfangen“.
Neu-Anfänge kann man als Auferstehungsmomente lesen. Wir alle haben viele Neu-Anfänge in unserem Leben. Und wenn Sie an Dr. Adamovich denken: auch er hatte viele Neu-Anfänge in seinem Leben. Auferstehung gibt es, so gesehen, nicht erst am Ende des Lebens.
Neu anfangen zu können: das ist ein großer Trost. Manchmal ist es eine wirkliche Erfahrung von Freiheit. Ich bin auch Gefängniskaplan in der Justizanstalt in Innsbruck. Ich kann den Insassen dort sagen: „Sie sind nicht vollständig festgelegt durch ihre Vergangenheit. Sie dürfen neu anfangen, wenn auch nicht immer zu den Bedingungen, die Sie sich vorstellen.“
Auch der Tod ist ein Neu-Anfang. Im Hochgebet heute beten wir: „Deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen.“ Dr. Adamovich legt uns selbst eine Spur in diese Richtung, in einem Ö1-Interview mit Renata Schmidtkunz.
Er sagt dort: „Ich persönlich glaube, dass die Existenz des Gewissens ein Indikator dafür ist, dass es mit der Feuerbestattung oder was immer nicht aus ist. Wenn es ein Gewissen gibt, dann muss das irgendwie transzendent sein. […] Dass die Verantwortung nicht hier aufhört, da bin ich fest überzeugt davon.“[1]
Verantwortlich sein, jemandem Antwort geben auf Fragen, wie wir gelebt haben: Dafür verwendet die Heilige Schrift das Bild des Gerichts in der kommenden Welt[2]. Wir alle kennen Situationen großer Ungerechtigkeit, bei der die Täter ungestraft davonkommen. Die Opfer wünschen sich ein Gericht, die Täter wollen nichts davon hören.
Wenn die Gerechtigkeit hier auf Erden nicht durchgesetzt werden kann, gerade bei Massengewalt, wie wir sie jetzt wieder erleben: Dann gibt es immer noch die Verantwortung in der kommenden Welt. Mich tröstet dieser Gedanke persönlich, wenn ich Vertriebenen begegne, zuletzt in der Ukraine.
Also: Auferstehung, die vielen Neu-Anfänge in unserem Leben und der endgültige Neu-Anfang durch den Tod hindurch – und Auferstehung als Frage der Gerechtigkeit in der kommenden Welt, auf der anderen Seite des Lebens.
II.
Die zwei biblischen Texte, die wir heute gehört haben, sprechen hauptsächlich von dieser Seite des Lebens. Sie sind 2000 Jahre alt. Und doch: wenn man genau liest, dann sind sie vorwiegend im Futur geschrieben. Das Leben wird nach vorne gelebt! Gleich nun, ob wir sie als Wort Gottes oder als Texte der Weltliteratur hören: sie zielen darauf ab, dass wir Menschen für andere werden. Das ist ein roter Faden, der sich durch die ganze Bibel zieht.
Dr. Ludwig Adamovich war ein Mensch für andere. In seiner Familie, in seinen Freundschaften, als Jurist und Verfassungsrichter – und als Ratgeber, sein ganzes Leben lang.
Was hat ihn geprägt, wie ist er zu seinem Blick auf die Welt gekommen? Wenn wir bei uns selbst schauen, dann merken wir: Wir schöpfen alle aus verschiedenen Quellen, die uns prägen: Elternhaus, Erziehung, Freunde, Literatur, Kunst, Musik, Reisen, die Natur oder der Sport – und manches davon waren auch Quellen im Leben von Dr. Adamovich.
Eine Quelle hat er immer wieder erwähnt: die katholische Tradition, der er sich zugehörig fühlte. Dabei war ihm wichtig dazuzusagen, dass er die „weite Version“ des Katholischen schätzt. Das Enge und Doktrinäre war ihm zuwider. Also: „Katholisch“ wörtlich übersetzt: kata holon, um des Ganzen willen, universal und weit.
Wer zuhause die heute gehörten Bibel-Texte nachliest, wird merken: Da geht es um eine innere Haltung, um Anstand – und zugleich um ganz praktisches Tun. Die biblischen Texte wollen, dass wir dem anderen Menschen gut sind. Sie möchten, dass wir unsere Spielräume zum Guten hin nützen.
Das ist bei Jesaja so, und auch bei den Seligpreisungen Jesu.
„Die Stimme des Gewissens ist leise“, schreibt Benedikt Kommenda[3].
Ja, das stimmt. Dr. Adamovich hat auf diese Stimme gehört – und er hat darüber nachgedacht und geschrieben[4]. Das Gewissen ist auch der Ort, wo wir uns selbst kritisch sehen können, wo wir unsere eigenen Fehler erkennen. Das Gewissen als letzte Autorität: Für Franz und Franziska Jägerstätter, für Dietrich Bonhoeffer und viele andere war das Gewissen der Ort der Entscheidung.
Die Heilige Schrift, das persönliche Gewissen – und Orte des Rückzugs, des Heiligen. Für Dr. Adamovich war diese Kirche wichtig, die Schottenkirche in Wien. Und die Verbindung zu den Benediktinern hier. Dass die Kirchen in Österreich für alle offen sind: das dürfen wir nicht unterschätzen. Sie sind Quell-Orte, damit wir Menschen für andere werden.
III.
Ein Mensch für andere zu sein, das ist ein persönliches Ideal. Manche Ideale brauchen Institutionen, damit sie über die Zeit hin lebendig bleiben. Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte, Hilfe in schwierigen Situationen, z. B. bei der Caritas: überall dort braucht es das Zusammenspiel vieler Menschen.
Dr. Adamovich hat viel Verantwortung in Institutionen getragen, und das war oft anstrengend. Institutionen sind anstrengend. Führungskräfte müssen viel aushalten, und Mitarbeiter/innen auch. Das ist im Staat so ebenso wie in der Kirche, in Unternehmen oder NGOs.
Aber dieser Lebens-Einsatz ist wichtig. Wir brauchen starke Institutionen für die Schwachen. Das hat mit guter Organisation zu tun, mehr aber noch mit lebendigen Idealen. Wenn die Ideale schwach werden, dann regieren in den Institutionen nur noch die Ökonomie, „Soll und Haben“ oder der Wille zur Macht.
Die Ideale stark machen: dazu hilft der weite Blick in die Geschichte. Athen, Jerusalem und Rom – die Ideen von damals prägen uns bis heute. Dr. Adamovich kannte diese Geschichte.
Er hatte eine Treue zur Vergangenheit, und zugleich eine Treue zur Zukunft. Er überlegte wie Thomas Morus, wie das Gemeinwesen weiter entwickelt werden kann, wie eine Ordnung der Freiheit für alle Menschen aussehen könnte. Da können wir nun weiterdenken. Dafür, und für seinen ganzen Lebens-Einsatz, sind wir ihm dankbar.
IV.
Ich danke Gott, dass er uns Dr. Ludwig Adamovich geschenkt hat.
Möge er nun im Licht und im Frieden Gottes sein.
Und möge uns sein Andenken zum Segen werden.
Amen.
[1] Renata Schmidtkunz, Im Gespräch, Ö1, 20. Juni 2024 (Erst-Ausstrahlung: Jänner 2021)
[2] Vgl. Mt 25,31ff
[3] Benedikt Kommenda, in: „Die Presse“, 17. Juni 2024
[4] Ludwig Adamovich, Wo wir stehen (Wien, 2020), S. 109 ff. sowie ders., Erinnerungen eines Nonkonformisten (Wien, 2011), S. 162 ff.