Die zusätzliche Perspektive.
Christlich inspiriertes Arbeiten und Leiten.
Praktische Hinweise von Jesuiten.

Professionalität setzen wir in unseren Arbeitsbereichen voraus, auch im Führungshandeln. Und doch merken wir immer wieder, dass wir in Sackgassen geraten. Professionalität allein genügt oft nicht. Im folgenden Beitrag argumentiere ich, dass für Führungskräfte eine zusätzliche Perspektive hilfreich sein kann: die christliche Perspektive.


Warum soll die christliche Perspektive hilfreich sein für Führungskräfte?

In der christlichen Tradition gibt es viel institutionelle Führungserfahrung. Dies betrifft vor allem drei Bereiche: Sinn-Orientierung, langfristiges Denken und internationale Ausrichtung.

  • Christliche Institutionen haben eine starke Sinn-Orientierung. Zentral dafür ist, dass für etwas Großes gearbeitet wird: für Gott und die Welt. Es geht um konkrete Gottes- und Nächstenliebe. In christlichen Institutionen muss gut gewirtschaftet werden, aber die Gewinn-Orientierung ist nicht prioritär.
  • Von christlichen Institutionen kann man langfristiges Denken lernen. Dazu gehört das „Überleben“ der Organisationen ebenso wie der ganze Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit. Ökologische Initiativen werden von Papst Franziskus und Patriarch Bartholomaios stark unterstützt.
  • Das institutionelle Gefüge in der christlichen Tradition ist stark international ausgerichtet. Zugleich gibt es einen Fokus auf den „grassroots level“. In sehr vielen Ländern sind die christlichen Gemeinden lebendige Orte des Gemeinschaftslebens und auch der Nächstenhilfe.

 

Was meint „christlich“?

Wenn man von einem „christlichen Krankenhaus“ oder einer „christlichen Schule“ oder von einer „christlichen Partei“ spricht, dann muss man dort – früher oder später – über drei Dinge[1] sprechen.

  • Über die Person Jesu. An Jesu‘ Denken, Fühlen und Handeln können sich Christ/innen orientieren. Für Christ/innen ordnen sich Dinge von ihm her. Jesus ist das Bild des unsichtbaren Gottes, wie Paulus schreibt[2].
  • Über die eigene Lebenspraxis. Christ-Sein drückt sich in inneren Haltungen aus und im eigenen Verhalten gegenüber Gott und den Menschen. Die ausdrückliche religiöse Praxis gehört hier ebenso dazu wie die konkrete Hilfe für Menschen in Not. Nächstenliebe ist wesentlicher Ausdruck von Gottesliebe. Christ/in ist man für andere.
  • Über die Gemeinschaft der Christen, die Kirche. Christ kann man nur zusammen mit anderen sein. Der institutionelle Aspekt ist besonders in der katholischen Tradition stark ausgeprägt.

Die Arbeit von Führungskräften wird in christlicher Perspektive als Dienst gesehen. Jesus ist hier sehr klar: „Der Größte von euch soll euer Diener sein.“[3] Beim Letzten Abendmahl wäscht Jesus seinen Jüngern die Füße. Dieser Abschnitt im Johannes-Evangelium[4] zeigt eindrucksvoll, dass Führungskräfte eine Dienstfunktion haben, ohne dass es zu einem Autoritätsvakuum kommt.

 

Was meint „zusätzliche Perspektive“?

„Zusätzlich“ ist die Perspektive darum, weil sie die rein professionelle Perspektive ergänzt, nicht ersetzt. Wer die Welt ganz bewusst auch mit christlichen Augen sehen kann, der gewinnt neue Horizonte für seine Entscheidungen. Das dominierende Tagesgeschäft von Führungskräften wird durch die christliche Perspektive relativiert. Es gibt eben Dimensionen, die über das Erarbeiten von Quartalszahlen, Budgets und strategischen Plänen hinausgehen.

Dazu kommt, dass – christlich gesehen – wir Mitarbeiter/innen Gottes sind[5]. Es kommt auf uns an, aber es hängt nicht alles von uns ab. Diese Relativierung des großen eigenen Einsatzes ist gerade für Führungskräfte in herausfordernden Situationen entlastend.

 

Was spricht gegen die zusätzliche Perspektive?

Der christliche Blick auf die Welt ist nicht einfach ein weiteres Management-Tool. Wer diesen Blickwinkel kennen möchte, der muss sich einlassen auf die Person Jesu, zumindest als Gesprächspartner.

Manche Menschen werden sagen: Die Christen selbst sind oft unfähig, in der Spur Jesu zu gehen. Das stimmt sowohl historisch als auch aktuell. Und trotzdem will ich daran festhalten, dass das Denken und Handeln Jesu ein hilfreicher Zugang ist, um als Führungskraft Entscheidungen in einer komplexen Welt zu treffen.

Die „rein professionellen“ Zugänge tun sich zum Beispiel im Bereich der Fehlerkultur sehr schwer. Wie soll, rein professionell gesehen, ein Neu-Anfang nach schweren Verfehlungen gelingen? Hier kann die christliche Perspektive hilfreich sein: Vergebung, Wieder-Gutmachung, Verzeihung, Versöhnung.

 

Drei praktische Hinweise – als Beispiele.

Die Strukturierung der Zeit kommt, historisch gesehen, häufig aus den religiösen Traditionen. Für Christ/innen ist der Sonntag eine wesentliche Unterbrechung des Arbeitslebens. Ein robustes Verständnis des Sonntags zu entwickeln und sich dabei an der christlichen Deutung zu orientieren: das ist tatsächlich eine zusätzliche Perspektive. Hier kann auch der geistliche Tagesrückblick erwähnt werden („Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“), ein bewusster Akt der Reflexion.

Das Kennenlernen der Person Jesu – wie er lebt, denkt und handelt – ist für viele Menschen eine Entdeckungsreise. Wer Jesus neu kennenlernen möchte, wird die Heilige Schrift lesen, Exerzitien machen oder sich an Heiligen-Biographien orientieren (z. B. dem Heiligen Martin, dem Heiligen Franziskus, der Heiligen Theresa von Avila, Franz und Franziska Jägerstätter, Dietrich Bonhoeffer oder Alfred Delp SJ). Man meint, man würde Jesus kennen, selbst als aktive Christin oder aktiver Christ. Und doch erkennen wir an seinem Leben immer wieder neue Aspekte, die uns Halt und Orientierung geben.

Zentral für die christliche Sicht auf die Welt ist die hohe Bedeutung des Neu-Anfangs. Jesus ist der Neu-Anfang: Wir ordnen unsere Zeitrechnung nach seiner Geburt. Und sein Tod endet nicht im Nichts, sondern führt zum Leben. Auferstehung ist das große Hoffnungswort durch die Jahrhunderte. Ich übersetze es für mich mit „neu anfangen“. Das ist ein großer Trost für uns. Wir sind nicht vollständig festgelegt durch unsere Vergangenheit. Wir dürfen immer wieder neu anfangen. Die Sakramente in der katholischen Tradition sind wirkmächtige Zeichen dafür, allen voran die Taufe.

 

Was erhoffen wir von einer zusätzlichen, christlichen Perspektive?

Man wird sich keine „quick wins“ erwarten dürfen. Das ist unrealistisch. Es geht um innere Stabilität, wenn außen alles wackelt. Es geht um eine Ausrichtung auf das Wesentliche im Leben, um Klarheit für mich selbst und für das ganze Team. So entsteht Tiefe, Prägung und ein Wandel der Mentalität zum Guten hin.

 

P. Dr. Christian Marte SJ, geboren 1964 in Feldkirch/Österreich, arbeitete für das Österreichische Rote Kreuz, bevor er Jesuit und katholischer Priester wurde. Er ist derzeit Rektor des Jesuitenkollegs in Innsbruck, Tirol. Er studierte Betriebswirtschaft, Philosophie und Theologie in Innsbruck, München und London. Er arbeitet auch als Gefängniskaplan in Innsbruck.

 

Publiziert in: Eder-Cakl, Gabriele; Findl-Ludescher, Anna (Hg.): Gutes Leben. Verantwortungsvolles Wirtschaften (Linz 2024)

 

[1] Für diesen Drei-Schritt danke ich Dr. Christoph Benke, Wien.

[2] Kol 1,15

[3] Mt 23,11

[4] Joh 13,1-20

[5] 1 Kor 3,9