Schwierige Situation für die Menschen – trotzdem viel Hoffnung.

 

Pater Christian Marte SJ reiste vom 10. – 15 März 2025 in die Ukraine, begleitet von Danielle Vella vom Jesuit Refugee Service in Rom und von Pater Michael Stanchyshyn SJ, Jesuit aus der Ukraine. Es ist seine vierte Reise in die Ukraine seit dem Beginn der russischen Invasion im Februar 2022. Diesmal ging es in den Westen und Südwesten: Lemberg, Czernowitz, Stryi, Mukachevo und Uzhhorod (Transkarpatien).

 

Wie geht es den Menschen, denen Sie begegnet sind?

Der erste Eindruck ist: Es freut alle, dass Besuch aus Österreich kommt. Es ist ein Zeichen, dass wir an die Menschen denken und mit ihnen mitfühlen. Im Gespräch wird dann rasch klar: Viele Menschen sind unsicher und wissen nicht, wie es mit dem Krieg weitergeht. Sie sind damit beschäftigt, den schwierigen Alltag unter Kriegsbedingungen zu bewältigen.

Viele Männer sind an der Front. Die große Last im Hinterland tragen die Frauen, die ich wirklich sehr bewundere. In Transkarpatien, das von russischen Raketen bisher ziemlich verschont wurde, sagte mir eine Frau: „In jedes einzelne Haus hier hat eine ‚Rakete‘ eingeschlagen: Vater oder Bruder an der Front, Kinder und Verwandte geflüchtet, Ostern und Weihnachten alleine oder nur online.“

 

Was hoffen die Menschen?

Die größte Hoffnung ist, dass der Krieg endet. Jetzt, während des Krieges, hoffen die Mütter auf eine gute Schule für die Kinder. Viele Frauen sind aus dem Osten der Ukraine in den Westen geflüchtet. Dort sind sie „Internally Displaced Persons“ (IDP; intern Vertriebene). Das tägliche Leben ist für sie sehr anstrengend: Wohnungssuche, Suche nach Arbeit, ein Arzt-Besuch, eine neue Umgebung. Eine Mutter sagte zu mir: „Ich wünsche ihnen und ihrer Familie, dass Sie nie fliehen müssen.“ Das hat mich ins Mark getroffen. Die Frau hat ihre Wohnung verloren und ist nun mit ihren zwei Kindern in einem Haus des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes.

 

Viele Familien sind voneinander getrennt.

Ja, die Familien sind oft weit auseinander – innerhalb der Ukraine und dann in ganz Europa. Für junge Menschen ist es ein echtes Drama, dass sie keine Pläne für die Zukunft machen können. Welche Schule soll ich besuchen? Werde ich einen Arbeitsplatz finden? Werde ich studieren können? Wann sehe ich meinen Vater oder meinen Bruder wieder? All das ist ein großer Stress.

 

Was ist mit den Kriegsgefangenen?

Viele Familien wissen nicht, wo ihre Väter oder Söhne sind. Manche sind getötet worden, manche sind in Gefangenschaft, manche sind vermisst. Dies ist eine der wichtigsten Aufgaben von Diplomaten, Gefangenen-Austausche zu vermitteln. Der Vatikan bemüht sich hier auch sehr mit seinen Möglichkeiten.

 

Welche Rolle spielen die Kirchen?

Die Kirchen sind für viele Menschen sehr wichtig, weil es dort Gemeinschaft gibt. Gemeinsames Beten, einander helfen und füreinander da sein. Die katholische Kirche (griechisch-katholisch und römisch-katholisch) ist international gut vernetzt. Damit gibt es viele Kontakte und auch Hilfe durch die Caritas, Renovabis, Kirche in Not und viele Diözesen. Hier sieht man: Wir brauchen eine starke Kirche für die Schwachen.

 

Und die Ukrainerinnen und Ukrainer im Ausland?

Sie sind oft in einer schwierigen Situation: getrennt von Familie und Freunden zuhause. Soll ich zurückgehen? Wie werde ich empfangen? Die Seelsorger/innen der Kirchen im Ausland sind hier von großer Bedeutung – als Gesprächspartner, Ratgeber und Tröster.

 

Seelsorge in Zeiten des Krieges – was bedeutet das konkret?

In Czernowitz haben die Jesuiten ein Haus eröffnet. Es heißt „Space of Hope“, Raum der Hoffnung. Dort treffen sich jede Woche Mütter von Soldaten und können ihre Sorgen miteinander teilen. Ein Jesuit begleitet die Gruppe. Ebenso treffen sich die Frauen von Soldaten dort. Soldaten, die zurückkehren, sind häufig traumatisiert und brauchen Orte der Aussprache. Wenn der Krieg endet, dann müssen viele Wunden der Seele geheilt werden. Es braucht niedrigschwellige Gesprächsmöglichkeiten – und das bieten die Pfarren jetzt schon an. Es wird dazu aber auch professionelle Trauma-Therapie brauchen.

 

Wie schaut es mit der humanitären Hilfe aus?

Die humanitäre Hilfe wird vor allem im Land selbst geleistet. Die Nachbarschaftshilfe funktioniert am besten. Die humanitäre Hilfe aus dem Ausland geht leider stark zurück. Das spüren die Caritas-Verantwortlichen, die für Suppenküchen zuständig sind oder für die Verteilung von Lebensmittel-Paketen an Pensionisten.

 

Wenn Sie auf die politische Lage schauen: Was denken die Menschen in der Ukraine?

Es gibt das starke Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Die Luftangriffe seit drei Jahren durch Russland. Die fast täglichen Luft-Alarme, weil Russland mit Raketen und Drohnen ukrainische Städte und Dörfer attackiert. Vor allem die Schulkinder leiden: Bei Luftalarm müssen sie in den Keller.

Das Gefühl der Ungerechtigkeit wird nun verschärft, weil die Menschen in der Ukraine den Eindruck haben: Es geht vor allem um seltene Erden, und jetzt wird unser Land verkauft. Wer interessiert sich wirklich für uns und hilft uns? Sind wir nur Objekte der Welt-Politik und werden herumgeschoben?

 

Wie sehen Sie selbst die politische Zukunft der Ukraine?

Für mich ist das Wichtigste, dass ich mir selbst ein Bild mache an Ort und Stelle. Ich betone immer wieder, wie wichtig Besuche von Bischöfen, Ordens-Oberinnen und Orden-Oberen sind. Das stärkt die Menschen in der Ukraine – und zugleich kommt man weg von oberflächlichen Fern-Diagnosen.

Ich sehe zwei Möglichkeiten. Die erste, hoffnungsvollere ist, dass es bald zu einem Waffenstillstand kommt. Wenn dies gelingt, dann beginnt eine sehr große Aufgabe: Der Wiederaufbau des Landes, vor allem aber das Heilen der Wunden an Leib und Seele. Es werden auch interne Konflikte auftauchen, die man während der Kriegszeit zurückgestellt hat. Versöhnungsarbeit in jeder Form wird zentral sein.

Die zweite Möglichkeit muss man auch erwähnen: Der Krieg kann sich ausweiten, auf die Republik Moldau, auf Litauen, Lettland und Estland. Dieses Szenario muss man gedanklich durchspielen, nicht nur in der Politik und beim Militär. Auch die Hilfsorganisationen müssen sich darauf vorbereiten.

 

In Europa wird jetzt stark in die militärische Rüstung investiert. Wie sehen Sie das?

Ich habe eine Ahnung davon, was Krieg bedeutet. In den 1990er Jahren war ich für das Rote Kreuz oft in Bosnien unterwegs, während und nach den Kampfhandlungen. Ich sehe es als Verpflichtung des Staates an, die Menschen vor kriegerischen Angriffen zu schützen, wenn notwendig auch mit Waffengewalt.

Zugleich müssen wir als Menschen der Kirche immer wieder darauf hinweisen: Waffen sind, langfristig gesehen, nicht die einzige Lösung. Es braucht eine Kultur des friedlichen Zusammenlebens. Die Möglichkeiten der Religionsgemeinschaften sollte man dabei nicht unterschätzen.

 

Wie können wir jetzt den Menschen in der Ukraine helfen?

Zuerst, indem wir uns für die Menschen interessieren und sie nicht vergessen. Dann durch unser inständiges, persönliches Beten zu Gott. Wir können die Augen aufmachen und schauen, ob es Flüchtlinge in unserer Umgebung gibt, denen wir helfen können. Und wer kann, der möge eine Spende an den Jesuitenorden geben, gewidmet für die Ukraine-Hilfe:

Jesuiten-weltweit, IBAN: Erste Bank; IBAN: AT94 2011 1822 5344 0000; Zweck: Ukraine-Hilfe.

Flüchtlingskinder beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Lemberg (Foto: Christian Marte SJ)
Flüchtlinge bei Mukachevo (Transkarpatien)
(Foto: Christian Marte SJ)