Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal darüber nachgedacht haben, welche Mentalität Jesus hatte – und wie er dazu gekommen ist. Auf den Gedanken an die Mentalität Jesu bin ich gekommen, weil mir ein Mitbruder[1] einmal gesagt hat: Eine Aufgabe der Kirche ist es, die Mentalität der Menschen zu prägen – im Sinne Jesu.
Seither schaue ich bei mir selbst, was meine Mentalität ist – und versuche herauszufinden, wer mich geprägt hat. Und dann bin ich sehr aufmerksam, wenn ich merke, dass sich Einstellungen in unserer Gesellschaft verändern.
Mir fällt zum Beispiel auf, dass die Berichte und Kommentare in den Tageszeitungen zunehmend aggressiv sind: besserwisserisch, wertend, und immer öfter abwertend. Bei den Leserbriefen ist es ähnlich, und ebenso in den Postings online. Da funktioniert die Affektkontrolle am wenigsten.
Nun merke ich bei mir selbst, dass mich auch vieles aufregt.
Die Gleichgültigkeit vieler Menschen zum Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Die Strompreis-Gestaltung und die Gewinne der Strom-Anbieter.
Das Desinteresse am Klima-Wandel.
Ändert sich da meine Mentalität? Werde ich auch ungeduldiger? Will ich auch einfache Lösungen für komplizierte Probleme, und zwar sofort?
Wenn wir an Jesus denken, dann merken wir: Er hatte ein Gespür für das, was richtig und falsch ist, was gerecht und ungerecht. Denken Sie an die Vertreibung der Händler aus dem Tempel. Oder wie er Petrus und die Jünger manchmal ziemlich deutlich korrigiert hat. Wir brauchen auch wie Jesus diese Emotion, diese innere Disposition, die uns bewegt, Dinge zum Besseren hin zu verändern.
Wie kann unser Herz so werden wie seines?
Sie ahnen schon: Das wird länger dauern 😊.
Es ist wohl für uns alle ein Lebensprojekt. Da gehört das Vorbild der Eltern dazu, der Religionsunterricht, unsere religiöse Praxis, das Beten und das Helfen für andere. Mich haben schon als Mittelschüler die Biographien von Heiligen fasziniert: Bonhoeffer, Jägerstätter, Lampert. Jede und jeder von Ihnen kann in der eigenen Biographie schauen, was prägend war für die eigene Mentalität, für die eigene Denkweise, für die eigenen Weltbilder.
Spannend scheint mir heute besonders, wie sich kollektive Mentalitäten verändern, also in der großen Gruppe.
Manchmal sagt man ja: Die Vorarlberger sind so und so … oder die Wiener, oder eben die Tirolerinnen und Tiroler. Das sind natürlich viele Stereotype und Vorurteile. Aber es gibt so etwas wie eine Mentalität zum Guten hin: Großzügigkeit, Gastfreundschaft, ein „Dem-anderen-gut-Sein“.
Wie kann so eine Mentalität wachsen, und zwar kollektiv, für eine größere Gemeinschaft?
Beim Propheten Ezechiel ist heute von einer Herde von Schafen die Rede, und Jesus spricht auch von 100 Schafen – alles Bilder von Großgruppen, Analogien, Gleichnisse.
Die Vorstellungswelt großer Gruppen wird durch Geschichten geprägt und durch gemeinsame Erfahrungen. Für Tirol war die Erfahrung der Besatzung durch fremde Truppen vor 200 Jahren eine Erschütterung. Daraus ist das Herz-Jesu-Gelöbnis entstanden:
Das ganze Land wird dem Herzen Jesu anvertraut, seiner Liebe und seinem Schutz.
Im letzten November hat der Caritas-Kindergarten in unserem Garten die Geschichte vom heiligen Martin gespielt. Viele Eltern und Großeltern waren da. Martin kommt auf einem Holzpferd zum Stadttor – und sieht einen Bettler. Er teilt seinen Mantel und gibt die Hälfte dem frierenden Menschen.
Dieses Martins-Spiel der Kinder hat alle stark beeindruckt. Diese Kinder haben eine Prägung mitbekommen – und die Erwachsenen auch. Und ebenso ist es mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter. Das sind christliche Kulturstandards, die auch für nicht-glaubende Menschen überzeugend sind.
Mentalitäten verändern sich langsam. Darum ist es gut, dass die Kirche die vielen Jesus-Geschichten immer wieder neu erzählt. So lassen wir uns prägen und merken mehr und mehr:
Ja, so würde Jesus auch handeln, das passt zu ihm.
Der heilige Ignatius gibt uns auch einen konkreten Hinweis, damit der Umgang miteinander etwas freundlicher wird. Dieser Hinweis steht am Beginn des Exerzitienbuches.
Dort schreibt Ignatius:
Jeder gute Christ muss bereitwilliger sein, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen;
und wenn er sie nicht retten kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht;
und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn mit Liebe[2].
So könnte man sich vorstellen, dass Menschen in der Politik miteinander umgehen.
In der Stadtpolitik in Innsbruck, im Tiroler Landtag, im Parlament in Wien.
Das würde allen gut tun, und dem Land insgesamt auch. Und wir sollten über „die Politiker“ wieder besser reden und ihren Einsatz für das Gemeinwohl würdigen. Auch wenn wir nicht mit allem einverstanden sind:
Die positive Verstärkung ist der Weg Jesu, nicht die Verachtung oder der Zynismus.
Herz-Jesu-Sonntag. Ein bisschen so werden wie er.
Uns prägen lassen von seinem Leben, von seiner Hingabe. Mehr und mehr in seine Mentalität hineinkommen.
Das wär’s, nicht?
Amen.
[1] P. Hans Langendörfer SJ
[2] Ignatius von Loyola, Exerzitienbuch, Nr. 22