Im Rahmen des Lehrgangs „Spiritualität“ der Österreichischen Ordenskonferenz
Hall in Tirol
Mt 10,26–33 (Röm 5,12–15)

Drei Mal heißt es heute im Evangelium: Fürchtet euch nicht!

Wenn Sie an die Welt heute denken, mit all den großen Problemen: Wer fällt ihnen ein, der so eine Botschaft verkündet? Die UNO? Einzelne Regierungen? Youtube oder Google? Wir werden nicht viele Institutionen finden, die eine Botschaft der Hoffnung und der Zuversicht verkünden, und zwar überall auf der Welt.

Dass diese gute Botschaft Jesu weitergegeben wird, das verdanken wir der Kirche. Und Kirche: das ist die Gemeinschaft derer, die an Jesus Christus glauben, kurz: die Gemeinschaft der Getauften. Diese Kirche ist global präsent, sie ist institutionell sehr ausdifferenziert. Weil nun die Kirche so vielfältig und groß ist, gibt es die Tendenz, dass man sich hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Darum gilt für mich als Faustregel:

2/3 „Außen-Themen“, 1/3 kirchliche „Innen-Themen“.

Das „Außen“ führt uns ziemlich direkt zur Frage, warum es uns gibt. Ich fasse es für mich so zusammen:

Die Kirche ist dazu da, die Hoffnungsbotschaft Jesu weiterzugeben. Wenn sie das tut, dann wird sie eine starke Kirche für die Schwachen.

Christin und Christ ist man ja für andere, nicht für sich selbst. Und so ist es auch mit der Kirche als Ganzes und ihren vielen Institutionen. Die explizite Weitergabe der Botschaft Jesu ist für mich die Aufgabe Nr. 1 der Kirche. Diesen ersten Punkt möchte ich ganz stark machen. In unserer zunehmend pluralen Welt ist die Person Jesu und sein Evangelium ein Ankerplatz. Von Jesus her ordnen sich die Dinge. Durch ihn wissen wir uns von Gott geborgen, bejaht, geliebt. Und darum brauchen wir uns auch nicht zu fürchten. Wenn wir das für uns selbst begreifen, dann ergeben sich daraus – gleichsam „ganz automatisch“ – Handlungen im Sinne Jesu. Und es ergibt sich das Gespräch mit Jesus: Dank, Bitten, Fürbitten für andere Menschen und Anliegen. Kurz: das, was wir Beten nennen.

 

Vier „Außen-Themen“ als Beispiele: Krieg, Politik, Jugendkultur und Mentalität

Ich war im Februar 2023 in der Ukraine. Den ganzen ersten Tag gab es Luftalarm in Lemberg. Mittags sechs große Explosionen von russischen Raketen. Von Wien in die Ukraine sind es gerade 600 km. Das ist die Strecke von Wien nach Bregenz. In der Ukraine ist nun Krieg, jeden Tag und jede Nacht. Luftangriffe durch die russische Armee. Mein Eindruck ist, dass in Österreich und in Westeuropa die historische Bedeutung des andauernden russischen Angriffs von vielen Menschen, auch in den Kirchen, noch nicht begriffen wurde. Vermutlich wissen viele nicht, was es zu verteidigen gibt – weil sie noch nie Krieg erlebt haben, und weil sie Freiheit, Demokratie und die Herrschaft des Rechts als selbstverständlich ansehen. Der Krieg gegen die Ukraine ist tatsächlich eine Zeitenwende. Wer irgendwie kann, sollte sich selbst ein Bild machen, an Ort und Stelle, in der Ukraine.

In diesem Krieg sind die kirchlichen Einrichtungen wichtig, in der Ukraine selbst und auch bei uns in Österreich: zuerst für die unmittelbare Hilfe für die Menschen. Aber auch, um die großen Themen anzusprechen: Wann kommt ein Gericht für die Täter? Wie sieht Reue und Wiedergutmachung aus? Wie kann die Stärke des Rechts wieder gelten, und nicht das Recht des Stärkeren? In der katholischen Tradition ist uns die Geltung universaler rechtlicher Standards wichtig – in der Ukraine, in Syrien, im Sudan, und auch in China.

Ein zweites Thema betrifft die öffentliche Positionierung der Kirche zu großen politischen Fragen. Denken Sie an den Umgang mit Flüchtlingen und Migranten. An die Präimplantationsdiagnostik, an den assistierten Suizid oder an die existentiellen Umwelt-Probleme. Als Kirche sprechen wir über unsere verschiedenen Kanäle – Bischöfe, Caritas, Orden, Theologische Fakultäten, um nur einige zu nennen. Wir wollen öffentlich sprechen und präsent sein. Auch hier gilt Jesu Wort: Fürchtet euch nicht, verkündet von den Dächern! Und wir sollten uns nicht kleiner machen als wir sind: In Österreich sind Christinnen und Christen keine Minderheit. Wir sind nicht nur dazu da, zu helfen, zu trösten oder den Status quo gutzuheißen. Wir möchten auch strukturelle Änderungen, hin zu mehr Gerechtigkeit, besonders für die, die keine Lobby haben. Glaube und Gerechtigkeit gehören für uns Christen zusammen. Nur wenn die Botschaft Jesu in konkrete Nächstenhilfe übersetzt wird, ist die Kirche als Gemeinschaft der Getauften glaubwürdig.

Drittens: Die Lebenskultur junger Menschen ändert sich dramatisch schnell – und wir merken es nicht. Stichworte sind: Die hohe Bedeutung von Instagram, von Online-Videos, von Influencern, von Work-Life-Balance. Und die sinkende Bedeutung klassischer Nachrichten-Formate oder des Bücher-Lesens. Da ändert sich die Welt-Wahrnehmung der nächsten Generation, auch in Bezug auf das geistliche Leben. Wir sollten diese Veränderungen kennen und uns damit beschäftigen.

Und schließlich: Die langfristige Prägung von Mentalitäten in unserem Land. Das ist eine wichtige Aufgabe kirchlicher Einrichtungen. Zentral sind für mich dabei die biblischen Geschichten vom barmherzigen Samariter und von der Fußwaschung. Und aus unserer Tradition die Geschichte vom Heiligen Martin, der seinen Mantel mit dem Bettler teilt. Solche Geschichten können unsere Mentalität zum Guten hin prägen. Wir lernen aus diesen Geschichten, die Welt mit den Augen Jesu zu sehen. Dann werden kirchliche Einrichtungen auch nicht als „Moralagentur“ wahrgenommen, sondern als konkrete Umsetzung des Evangeliums.

 

Zwei „Innen-Themen“: Liturgie und Kirchenmitgliedschaft

Wenn wir von „Innen-Themen“ sprechen, so geht es darum, wie wir uns als Kirche intern organisieren, welche Regeln gelten, wie wir beten und arbeiten. Zwei Stichworte: Liturgie und Kirchenmitgliedschaft.

Ein erstes solches Thema ist für mich die Liturgie. Die Qualität des gemeinsamen Gottesdienstes könnte deutlich besser werden. Zentral scheint mir, dass wir mehr als bisher vermitteln müssen, dass es sich um eine heilige Handlung handelt, die sorgfältig vorbereitet sein muss. Auf einer fundamentaleren Ebene müssen wir realisieren, dass viele Menschen keinen Zugang mehr zu liturgischen Formen haben. Gerade bei Taufen und Beerdigungen sind viele Menschen dabei, denen die liturgischen Abläufe fremd sind. Das sind echte Orte der Mission, wenn „unchurched people“ sich willkommen fühlen und gut durch die Feier geführt werden. So können Menschen einen Zugang zum Geheimnis Gottes erhalten. In der Präfation zu Herz-Jesu beten wir: „Das Herz des Erlösers steht offen für alle, damit sie freudig schöpfen aus den Quellen des Heils.“ Diese Offenheit für alle muss konkreter werden, damit Liturgie relevant für die Menschen bleibt.

Das führt mich zum zweiten Punkt: die Kirchen-Zugehörigkeit. Sie hängt in den meisten Ländern der Erde an der Taufe. Bei uns im deutsch-sprachigen Raum kommt noch der Kirchenbeitrag dazu. Die Taufe allein scheint nicht zu genügen. 2022 haben in Österreich 90.000 Menschen die katholische Kirche verlassen. 90.000 Mal gab es eine Tauf-Feier, und die wird nun in einem einmaligen administrativen Akt für irrelevant erklärt: durch den Kirchenaustritt. Ich merke, dass viele Menschen, die formal ausgetreten sind, eine innere Distanz zur Kirche aufbauen und an kirchlichen Feiern nicht mehr teilnehmen wollen. Wir haben da ein System-Problem, über das kaum gesprochen wird. Wo sind die Veränderungs-Vorschläge? Könnte man auf eine freiwillige Zahlung des Kirchenbeitrags umstellen? Auf eine Selbst-Einschätzung, was ich zahlen möchte? Auf eine reale Zweckwidmung? Was würde das für die Pfarren und Diözesen bedeuten, was für das angestellte Personal? Vermutlich würde es mehr in Richtung „fundraising“ gehen, der „Steuer-Charakter“ des Kirchenbeitrags würde abnehmen. Ich glaube, wir müssen die Kirchen-Zugehörigkeit wieder ausschließlich an die Taufe binden – und zugleich deutlich sagen, dass der Kirchenbeitrag sehr wichtig ist, als konkrete Solidarität.

Paulus schreibt, dass die Gnade Gottes vielen reichlich zuteilgeworden ist. Von dieser Gnade wissen wir durch die Verkündigung der Kirche. Es stimmt schon: manchmal stehen wir als Kirchen-Menschen der Botschaft Jesu im Weg. Und manchmal sind wir ziemlich ernüchtert über das, was in der Kirche möglich oder nicht möglich ist. Und zugleich gilt: Mittels, dank und trotz der Kirche glauben wir an Gott (Ottmar Fuchs).

Mit Gott-Vertrauen können wir weiter gehen und die Botschaft Jesu von Hoffnung und Zuversicht weitergeben. Amen.